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Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum

SoVD-Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der CDU / CSU: Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum

(Drucksache 20/4676)

1 Zusammenfassung des Antrags

Der vorliegende Antrag der CDU/CSU Fraktion fordert, die Barrierefreiheit in Deutschland voranzutreiben, um damit die gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Barrierefreiheit ist für Menschen mit Behinderungen eine Grundvoraussetzung, um selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion weist auf viele noch zu bearbeitenden Probleme bei der tatsächlichen Umsetzung der Barrierefreiheit hin. Diese reichen von der fehlenden Anzahl bezahlbarer, barrierefreier Wohnungen über die Barrierefreiheit in Bezug auf die Mobilität, bis hin zu einem noch mangelnden inklusiven Gesundheits-wesen. Auch der Bereich der Digitalisierung wird in diesem Antrag aufgegriffen. Diese ist im Arbeitsleben, aber auch im Bereich des Katastrophenschutzes auch und gerade für Menschen mit Behinderungen von großer Bedeutung. Nicht zuletzt wird auch die Bedeutung der politischen Partizipation von Menschen mit Behinderungen in dem Antrag thematisiert.

2 Gesamtbewertung

Der Aspekt der Barrierefreiheit ist für Menschen mit Behinderungen ganz wesentlich, um gesellschaftliche Teilhabe leben zu können.

Für den SoVD ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein wichtiges Anliegen, welches seit Jahrzehnten hart erkämpft werden muss. Die Belange von Menschen mit Behinderungen werden allzu häufig bei politischen Entscheidungsfindungen und Willensbildungsprozessen nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Dies auch und vor allem deshalb, weil Menschen mit Behinderungen allzu lange nicht Teil des Alltags von Menschen ohne Behinderungen waren und dies auch in zu großem Teil immer noch sind. Daher fehlt das Bewusstsein für die Belange von Menschen, die mit einer Behinderung leben (müssen).

Der hier zu bewertende Antrag mit den vielen unterschiedlichen alltäglichen Lebensbereichen wie Wohnen, Mobilität, Gesundheit, etc. zeigt auf, in wie vielen Bereichen noch Handlungsbedarf besteht, um dem Anspruch einer gleichberechtigten Teilhabe für Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden.

Auch und vor allem durch die Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im August 2023 in Genf wurde deutlich, dass Deutschland noch viel Arbeit vor sich hat mit Blick auf die tatsächliche Umsetzung der UN-BRK und der damit verbundenen Verbesserung der Teilhabe für Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen.

Neben der mangelnden inklusiven Bildung und der schlechten Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurden vom Fachausschuss in Genf und vom SoVD viele Bereiche kritisiert, die auch in dem vorliegenden Antrag aufgeführt sind.

Wir fordern seit vielen Jahren, dass Barrierefreiheit bzw. die Belange von Menschen mit Behinderungen bei Bauvorhaben oder anderen Entscheidungsprozessen viel zu selten mitgedacht werden.

Barrierefreiheit sollte jedoch als Qualitätsstandard in Deutschland gelten. Eine barrierefreie Umgebung nützt allen Menschen, nicht nur Menschen, die mit einer Behinderung leben. Gerade in einer alternden Gesellschaft sollte es von Interesse sein, barrierefreie Infrastrukturen zu schaffen, bzw. insbesondere keine neuen mehr zu errichten.

Der Antrag wirft viele wesentliche Probleme fehlender Barrierefreiheit auf und wird daher vom SoVD ausdrücklich begrüßt. 

3 Zu einzelnen Aspekten des Antrags

Im Folgenden nimmt der SoVD zu einzelnen Aspekten des Antrages Stellung.

Barrierefreiheit allgemein/Bundesinitiative Barrierefreiheit

Der SoVD begrüßt die vielen inklusionspolitischen Ziele aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition. Unter anderem soll auch die Barrierefreiheit in Deutschland vorangetrieben werden.

Unter Federführung des BMAS wurde im November 2022 ressortübergreifend die Bundesinitiative Barrierefreiheit gestartet. Unter diesem Dach sollen alle Maßnahmen und alle Ressorts versammelt werden, die im Koalitionsvertrag verankert sind.

Ziel der Bundesinitiative ist es, Gesetzgebungen zu überarbeiten und konkrete Maßnahmen in den vier Schwerpunkten Mobilität, Bauen/Wohnen, Gesundheit und Digitales umzusetzen. Der hier in Rede stehende Antrag befasst sich zu Recht zu großen Teilen genau mit diesen vier Themenbereichen. Der SoVD begrüßt, dass die Bundesinitiative sich dieser Schwerpunktbereiche angenommen hat und hier Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen erreichen will.

Es ist gut, dass diese Bundesinitiative unter Federführung des BMAS ressortübergreifend agieren soll. Es ist wichtig, dass alle Ressorts in die Verantwortung gezogen werden und endlich für mehr Barrierefreiheit sorgen sollen, damit Dinge, wie der Besuch eines Kinos, die Fahrt mit der Bahn oder das Aufsuchen eines Arztes auch für Menschen mit Behinderungen ohne große Vorplanungen erfolgen können, so wie es für Menschen, die nicht mit einer Behinderung leben, auch möglich ist.

Bisher ist es jedoch leider so, dass bei neuen Gesetzesvorhaben die Belange und Bedarfe von Menschen mit Behinderungen selten mitgedacht werden. Die Bundesinitiative kann ein Motor sein, hier zu einem Umdenken beizutragen.

Barrierefreie Mobilität

Für Menschen mit Behinderungen ist es nicht möglich, unabhängig den Fernverkehr oder den ÖPNV zu nutzen. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr ist aber gerade für Menschen, die mit körperlichen Einschränkungen leben, wichtig, um am gesellschaftlichen Leben überhaupt teilnehmen zu können.

Der SoVD erkennt zwar an, dass im Bereich des Fernverkehrs und des ÖPNV in den letzten Jahren manches zur Erreichung der Barrierefreiheit getan wurde.

So verfügen viele Bahnhöfe über Aufzüge, sogenannte Hublifte und Leitsysteme für Menschen mit Seheinschränkungen. Dennoch ist unabhängige Mobilität nicht gegeben. Zwar verfügen manche Fernverkehrszüge über fahrzeuggebundene Einstiegshilfen für mobilitätseingeschränkte Menschen, diese werden aber wegen praktischer Probleme in der Nutzung nicht verwendet. Ziel sollte es aber sein fahrzeuggebundene Einstiegshilfen flächendeckend zur Verfügung zu stellen, um für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen Zugfahrten unabhängiger vom Servicepersonal zu ermöglichen. Hier muss zwingend zügig nachgebessert werden.

Klar ist, dass für den ÖPNV grundsätzlich die Länder zuständig sind, der Bund kann und sollte aber die für den ÖPNV zuständigen Stellen finanziell unterstützen, etwa über das Regionalisierungsgesetz und das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz.

Mit Blick auf den Individualverkehr erkennt der SoVD an, dass mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts 2021 in § 64c PBefG eine Vorschrift geschaffen hat, die beim Verkehr mit Taxen den Aufgabenträgern aufgibt, die Belange von sensorisch oder in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen zu berücksichtigen und eine Verfügbarkeit von barrierefreien Fahrzeugen vorzusehen. Zu kritisieren ist allerdings, dass hier Ausnahmen wegen unzumutbarer Härte vorgesehen sind. Daher ist abzusehen, dass auch nach dieser Gesetzesänderung nicht bedarfsgerecht Taxen, die auch für Menschen mit Behinderungen problemlos nutzbar sind, zur Verfügung stehen. Hier müssen Anreize und Unterstützungen für Taxiunternehmen geboten werden, damit mehr barrierefreie Taxen in den Verkehr gebracht werden, die gerade Menschen mit Behinderungen „auf den letzten Kilometern“ der Wegstrecke eine wichtige Unterstützung sein können.

Barrierefreies Gesundheitswesen

Für Menschen mit Behinderungen ist ein barrierefreies Gesundheitswesen von essentieller Bedeutung. Gerade diese Personengruppe ist auf eine verlässliche medizinische Versorgung angewiesen. 80 Prozent der Arzt- und Therapiepraxen sind aber derzeit nicht oder nicht vollständig barrierefrei. Bei der Wichtigkeit guter gesundheitlicher Versorgung für viele Menschen mit Behinderungen ist nicht nachvollziehbar, dass gewisse Barrierefreiheitsstandards nicht eingehalten werden müssen, um die Zulassung für das Eröffnen und Betreiben von Einrichtungen der medizinischen Versorgung (Praxen, Rehaeinrichtungen, Krankenhäuser, andere Therapiestätten) zu erhalten.

Zwar existieren bereits KfW-Förderprogramme, aus denen der Umbau zur Barrierefreiheit finanziert werden kann, diese werden jedoch von Ärztinnen und Ärzten nicht ausreichend genutzt, um den Bedarf an barrierefreien Arztpraxen zu decken. Derzeit ist nicht eindeutig, ob Mittel des Strukturfonds zur Förderung der Barrierefreiheit verwendet werden dürfen. Diese Unklarheiten sind aus Sicht des SoVD dringend zu beseitigen. Dafür ist die Vorschrift des § 105 Abs. 1a Satz 3 SGB V um eine Nummer 9 „Förderung der Barrierefreiheit“ zu ergänzen.

Seit einiger Zeit wird mit Beteiligung der Menschen mit Behinderungen und ihrer Verbände an der Erarbeitung der Kriterien für die Barrierefreiheit von Arztpraxen gearbeitet. Diese sollen Menschen mit Behinderungen verlässliche Informationen darüber geben, ob und inwieweit eine Arztpraxis überhaupt für Menschen mit Behinderungen zugänglich ist. Die Bereitstellung von Information über die Barrierefreiheit einer Praxis ist ein Schritt in die richtige Richtung für die ärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen.

Der SoVD erkennt an, dass das Bundesministerium für Gesundheit einen Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen konkret in Aussicht gestellt hat. Hier sollen auch wesentliche Aspekte der Barrierefreiheit im Gesundheitswesen verankert werden. Der SoVD fordert, dass aus diesem Aktionsplan zeitnah konkrete Schritte folgen, damit das Gesundheitswesen tatsächlich inklusiver wird.

Partizipation

Die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in politische und gesellschaftliche Prozesse hält der SoVD für sehr wichtig. Dies gilt für alle Politikfelder und gesellschaftliche Prozesse, in jedem Fall aber für jene, die Menschen mit Behinderungen unmittelbar betreffen.

Die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in politische Prozesse hat in den letzten Jahren eine positive Entwicklung genommen. Bei vielen Gesetzesvorhaben werden Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände einbezogen, vor allem bei jenen, die sie unmittelbar betreffen. Dennoch müssen die Partizipationsstandards weiter verbessert werden. Viele relevante Dokumente werden etwa nicht barrierefrei zur Verfügung gestellt, die Fristen für Stellungnahmen o.ä. sind häufig kurz, was gerade für Menschen mit Behinderungen dann dazu führen kann, dass keine Partizipation möglich ist.

Berlin, 9. November 2023
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik